Feli und die Anarchie.
Wenn die gebürtige Haagerin Ramona Seba in die Tasten greift, um ihr Romandebüt aus der Taufe zu heben, blühen Phantasie, Mostbäume und ein Hauch Anarchie.
Walter Benjamin meinte, einen Roman zu schreiben heiße, in der Darstellung des menschlichen Lebens das Inkommensurable, das nicht Vergleichbare, auf die Spitze treiben. Wenn ich den Versuch unternehme, die Unwägbarkeiten eines Romanerstlings zu besprechen, wird das umstandslos eine anarchische Blütenlese, aber ohne Spitze.
Mostblütenanarchie. Mostblütenwas?
Womit haben wir es zu tun in Ramona Sebas Text? Felizitas „Feli“ Aber – ein ganzes Anagramm ist es nicht geworden, aber der Leser weiß, woher der Wind weht – Feli Aber sitzt mitten in den Maturavorbereitungen auf ihrem ererbten Bauernhof und denkt über das Naheliegende nach: die Zukunft. Die aussichtsreichste Zukunft des Rottendorfer „Krenn“-Hofs, denkt Feli, ist eine WG, eine Wohngemeinschaft. Sowas ist gut gegen Einsamkeit und bringt Leben ins Gehöft. Im Chat lernt sie „Ikarus“ kennen. Der ist uns aus der Mythologie bekannt: jener, der so gerne fliegt, aber technisch noch nicht so weit ist.
ICH-Staat, Verweigerer, Quertreiber
Dieser „Ikarus“, stellt sich beiläufig heraus, heißt René und ist Anhänger des ICH-Staates. ICH-Staatler, das hat Feli recherchiert, anerkennen keinen Staat, sie reisen mit Weltbürgerpass. Wir kennen sie als renitente Reichsbürger aus den Medien. Das kann ja eine nette WG werden, denkt sich der Leser.
Reale und fiktive Tragödien
Ramona Seba ist nicht Feli Aber, die Romanfigur, aber es steckt in Feli eine Menge Ramona-Biografie, wie mir die Autorin versichert hat. Es hat auch jede weitere Figur ein Vorbild in natura, in Krottendorf, Stadt Haag, Mostviertel, anderswo. Felis Eltern sind auf tragische Weise ums Leben gekommen, so wie Ramonas Eltern, sie maturiert in der selben Schule (Zeugnisse im Roman-Anhang), Feli stößt auf die Querköpfe im Internet, Ramona in der ORF-Sendung „Am Schauplatz“.
Dazwischenkeppeln
Das sollte ein Rezensent niemals, aber ich hätte die Anarcho-Truppe „Egolandler“ genannt, das klingt so heimelig nach Lego und volkstümlichem Tanz.
Schriftstellerin und Rezensent im Café Deli Noomi, Wien-Penzing
Das Schicksal nimmt seinen Lauf
Die WG wächst, ihre Mitglieder sind harmlose Spinner, gescheiterte Existenzen. Peppi Seidl etwa wird statt Fußballweltmeister Österreich-Chef dieses Haufens. Zum Glück hat er Perlen in seinen Bart geflochten, Glücksperlen.
Zwischen Esoterik, Schweindl-Rettung beim Ungustl-Bauern Kargl, Hühner-Asyl mit finaler Fuchsintervention, organisiert Feli gemeinsam mit Genossen Marx, einem schon älteren Bibliothekar, die Gemeindebücherei neu und konsultiert ihre Psychotherapeutin im nahen Steyr.
Eskalation, Harmonie, Happy End?
Es sei hier nicht verraten, wie das Abenteuer auf Feli Abers Bauernhof, etwa die Verlegung der Gemeindebücherei, ausgeht, es gibt schließlich viele Gründe, den Roman zu lesen: um zu erfahren, ob es am End ein Happy End gibt, um nachzuprüfen, ob man im Text einer Romanfigur gleichschaut, als Ratgeber, wie ein Mostblütenfest zu organisieren ist, um neue Literatur aus dem Mostviertel kennen zu lernen, weil man gerne Heimatromane liest (ist es denn überhaupt ein solcher? Fehlt bei aller Blütenpracht nicht das süßliche Idyll?), weil ihn der Hintringer gelesen hat, … Viel Vergnügen!