Lehrjahre sind keine Herrenjahre

Von Mario Hirner | Lesezeit ca. 5:25 Minuten

BESCHÄFTIGUNGS-BESCHRÄNKUNGEN.

Unter dem Deckmantel Jugendschutz wird Lehrlingen vieles verboten, was zum Erlernen des Berufs erforderlich ist – und damit die Freude am Lehrberuf getrübt.

 

Das Zitat: „Was man lernen muss, um es zu tun, das lernt man, indem man es tut“ wird dem Philosophen Aristoteles zugeschrieben. Ein nicht minder bekannter Grieche, Diogenes von Sinope, hat noch eines draufgesetzt, indem er sagte: „Die Grundlage eines Staates ist die Ausbildung seiner Jugend.“ Beide hatten Recht, beide lebten zur selben Zeit und starben auch knapp hintereinander, ich vermute mal, nachdem 322 vor Christus irgendwer die Beschäftigungs-Beschränkungen für Lehrlinge definiert hat, an einem Schlaganfall.

 

Gesetze und Regeln sind notwendig, das wird von niemanden bestritten. Doch auch hier ist, wie überall, das alte Sprichwort treffend: „Zuwenig und Zuviel, das ist dem Narren sein Ziel.“ Und so beißt sich das Jugendschutzgesetz mit der Beschäftigungsbeschränkung für Lehrlinge. Schon klar, einem Lehrling in der Bühnenbeleuchterbranche ist zum Beispiel das Arbeiten in der Pornobranche verboten. Dazu braucht es auch nicht unbedingt einen Passus im Lehrlingsschutzgesetz.

 

Abbildung von Jesus in seiner Lehrzeit als Zimmerer
©zVg

Jesus hatte Glück, dass er seine Lehrzeit als Zimmerer vor 2.000 Jahren beendet hat.

Heute würde dieser Betrieb durch die Gewerbeaufsicht zugesperrt werden.


 

Lehrlinge dürfen beispielsweise mit krebserzeugenden, hoch giftigen, stark ätzenden oder chronisch schädigenden Arbeitsstoffen unter Aufsicht arbeiten, gleichzeitig darf ein auszubildender Zimmerer, auch wenn er vorschriftsmäßig gesichert ist, nicht auf einem Dachstuhl arbeiten. Kein Problem? Dann soll er eben am Boden die Pfetten oder Sparren zuschneiden? Geht nicht, er darf nämlich auch keine Motorsäge bedienen. Einem Tischlerlehrling ist das Bedienen von Hobelmaschinen mit rotierenden Messerwellen, einem Schlosserlehrling das Arbeiten mit einem großen Winkelschleifer die ersten 18 Monate verboten.

 

Noch absurder wird es dann, wenn ein Lehrling – Maurer oder Elektriker – Kabelkanäle mit Hammer und Meißel verlegen soll. Das darf er nämlich schon mal gar nicht. Außer, und hier wird es kurios, mit kraftbedienten Maschinen, die er aber erst recht wieder nicht bis zu einem bestimmten Alter bedienen darf, wenn die Werkzeuge mehr als 1.200 Watt haben. Es sei denn, er hat bereits sein achtzehntes Lebensjahr vollendet, dann darf er mit Maurerfäustel und Handmeißel arbeiten.

»Den Umgang mit
berufsbedingt notwendigen Werkzeugen vom Alter abhängig zu machen,
hat nichts mit Jugendschutz zu tun.«

Ist Zinn ein Metall?

Untertagearbeiten im Bergbau sind generell verboten, Untertagebauarbeiten sind aber wieder erlaubt. Abfangen und Transport von flüssigem Metall ist erst nach 12 Monaten, Abfangen und Transport von flüssigem Zinn ist aber ab Lehrbeginn erlaubt. Zinn kann je nach Gefügezustand ein Metall oder Halbleiter sein, nur ob das wer in der Wirtschaftskammer weiß, darf bezweifelt werden. Richtig spannend wird es dann, wenn weibliche Jugendliche nach der Verordnung über die Gesundheitsüberwachung Tätigkeiten eines männlichen Lehrlings nicht ausführen dürfen. Das entspricht zwar dem Lehrlingsschutz, widerspricht jedoch dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Bin schon gespannt, wann die erste Frauenorganisation ihr Recht auf Arbeiten mit dem hoch giftigen Tetrachlor­ethan einklagt.

 

Unbestritten ist, dass Lehrlinge einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor, hauptsächlich für kleine Handwerksbetriebe, darstellen.

 

Ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor

Dabei ist die „Kastration“ der Lehrlinge insbesondere im ersten Lehrjahr aber kontraproduktiv. So beklagen manche kleine Betriebe, dass Lehrlinge gerade einmal zum Jause-holen eingesetzt werden dürfen. Und dafür muss schon fast ein Geselle händchenhaltend mitgehen. Dass so etwas natürlich auch die Motivation eines Auszubildenden drückt, erklärt sich von selber. „Man merkt, dass die Frustration der Lehrlinge gerade am Beginn der Lehrzeit von Tag zu Tag zunimmt. Zuerst ist die Motivation relativ hoch, doch mit jedem Tag, der aus mehr Verboten besteht, nimmt diese anfängliche Freude am ergriffenen Beruf ab. Es ist fast so, als glaubten die Lehrlinge, der Lehrherr traut ihnen komplexere Arbeiten nicht zu. Es ist schon klar, dass manchen Lehrlingen der Umgang mit schweren Maschinen erst beigebracht werden muss, aus diesem Grund gibt es ja auch die Lehrzeit. Aber ein Erlernen eines bestimmten, für die Tätigkeit notwendigen Werkzeuges von einem festgesetzten Alter abhängig zu machen, hat nichts mit Jugendschutz zu tun."

Altes Zeitungsinserat. Lehrling gesucht. #Lehre, #Jugend, #Beruf, #Panorama, #podkastl.media
© DuMont Schauberg. Kölnische Zeitung.

 

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen

Es erhöht weder die Sicherheit, noch stärkt es das Selbstvertrauen oder das Können eines Lehrlings. Für die Sicherheit eines Auszubildenden ist sein Lehrherr zuständig. Das Ermessen, ob ein Lehrling so weit ist, eine Motorsäge, einen Winkelschleifer oder einen Hobel zu bedienen, liegt im Auge des Ausbilders und nicht in einem Büro der Wirtschaftskammer. Denn nur weil jemand etwas darf, weil er bereits seit 18 Monaten im Betrieb ist oder eben nicht darf, weil er erst seit 17 Monaten und 30 Tagen als Lehrling in einem Betrieb beschäftigt ist, sagt das nichts über dessen Befähigung aus.

 

Man sagt: Lehre bildet Geister, Übung macht den Meister und dass eben ein solcher noch niemals vom Himmel gefallen ist. Auch dann nicht, wenn er schon einmal gesehen hat, wie man eine Motorsäge bedient, aber selber nicht ran durfte.

Dieser Beitrag erschien erstmals im momag