Integration. Aus der Perspektive Betroffener

Von Silvia Wagner | Lesezeit ca. 7:30 Minuten

APFELSTRUDEL UND SAFRANREIS. Eine Erzählung, die möglicherweise dazu beitragen darf, Brücken zu bauen.

 

Schon im Erdgeschoss duftet es verführerisch und der kleine Junge fliegt förmlich die Stufen zur kleinen Dachgeschosswohnung hinauf. Als er in die Küche stürmt, dampft der herrlich duftende Apfelstrudel auf dem Backblech. „Wow, Mama, mein Lieblingsessen, Danke!“, ruft Navid mit leuchtenden Augen und stürmt in die Arme seiner Mutter. Der Tisch ist bereits gedeckt und auch das Kabab, seine iranische Lieblingsmahlzeit, mit knusprigem Safranreis und gegrillten Tomaten, verströmt würzigen Duft.

 

Integration. Gemeinsam besser.
© Colourbox

Sprachbarrieren
Sahar ist stolz auf ihren Sohn. Er wirkt glücklich, obwohl sie weiß, dass er es im Moment ziemlich schwer hat. Seit Navid in die erste Klasse der Volksschule in der 5.000-Seelen-Gemeinde geht, fällt es ihm schwer, Anschluss zu finden. Navid ist im Iran geboren und hat nur wenige österreichische Freunde. Im Kindergarten spielte er am liebsten mit Ashna, der Tochter von Sahars iranischer Freundin. Sie war schon immer seine liebste Spielgefährtin, denn nur mit ihr konnte man so toll auf Bäume klettern, schwärmt er noch heute. Doch Ashna ist in den Sommerferien nach Wien gezogen. Die neuen Kinder sind ihm fremd und er ihnen.

 


»Sahar drängte Navid schon

im Kindergarten, sich auch österreichische Freunde zu suchen,

um so viel wie möglich Deutsch zu sprechen.«

 

Sahar drängte Navid schon im Kindergarten, sich auch österreichische Freunde zu suchen, um so viel wie möglich Deutsch zu sprechen. Wenn sie ihn von der Schule abholt, beobachtet sie aber auch, dass es nicht immer nur an seiner schüchternen Art liegt. Da sie zuhause und im Kindergarten mit ihm Hochdeutsch sprachen, versteht er den Dialekt oft nicht, wenn ihm die Kinder was zurufen. Auch die Lehrerin im Unterricht spricht fast nur Dialekt. Als Sahar sie gebeten hat, etwas mehr Hochdeutsch einzubauen, meinte sie nur: „Ich kann wegen ihrem Sohn nicht extra immer Hochdeutsch reden, da verstehen mich die anderen doch nicht.“


Navid beklagt sich nicht. Meistens zieht er sich nach den Hausaufgaben in sein Zimmer zurück und taucht in seine Phantasiewelt ein, in der Zootiere und Baumaschinen das Sagen haben. Dann ist er glücklich. Hin und wieder, wenn sie ihn ruft, bemerkt Sahar seine geschwollenen Augen. Es tut ihr in der Seele weh, denn sie kennt seine Gefühle nur zu gut.

 

Integration. Apfelstrudel und Safranreis. Gemeinsam besser.
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Keine Einbahnstraße

Sahar hat im Iran Kulturwissenschaft studiert. Als sie 2015 mit ihrem Mann nach Österreich kam, war Navid gerade ein Jahr alt. Ihr Mann nahm alle möglichen Hilfsjobs an, um eigenes Geld zu verdienen. Sie wussten: Arbeit und Sprache sind die Dinge, die man als erstes beherrschen muss, um erfolgreich in einem neuen Land Fuß zu fassen. Er ist geschickt und war oft auf Montage unterwegs, während Sahar mit dem Baby zuhause blieb. Aber auch sie war nicht untätig und nutzte die Zeit, um Deutsch zu lernen. Sie wollte Arbeit finden, sobald Navid in den Kindergarten gehen würde. Noch heute liest sie selbst sehr viel und genießt es, wenn sich abends Navid in ihre Arme kuschelt und sie ihm schon fließend aus seinem Lieblingsbuch „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab“ vorlesen kann.

 

»Wichtig ist, dass wir alle dasselbe Ziel verfolgen – ein friedliches Miteinander.«

 

Sahar suchte von Anfang an Kontakt zu ihren Nachbarn. Sie grüßt freundlich und ermahnt auch Navid immer dazu. Sie weiß, wie wichtig Höflichkeit im Umgang mit Menschen ist. Das hämmerten ihr die Eltern auf oft schmerzvolle Weise ein. Sie will endlich ihre schreckliche Vergangenheit hinter sich lassen und ihrem Sohn ein gutes Vorbild sein. Mittlerweile vermeidet sie es auch, sich mit ihrer iranischen Freundin zu zeigen. Doch dieser bedingungslose Wunsch nach Integration hat auch seinen Preis. Ihre Freundin war es damals, die ihr empfahl, ihr Studium in Österreich anerkennen zu lassen („Nostrifikation“). Doch um hier damit arbeiten zu können, müsste sie nochmal ein mehrere Jahre dauerndes Studium absolvieren. Sahar ist 38 und sie kann sich weder zeitlich noch finanziell ein langes Vollzeitstudium leisten. Leider hat sie durch die Nostrifikation keinen Anspruch auf eine Förderung. Darum arbeitet sie im Backshop, seit Navid im Kindergarten ist.

Sie mag die Arbeit und unterhält sich gerne mit den Kolleginnen und den Kunden, doch das ist nur Smalltalk.

 

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Barrieren
der Integration: Vorurteile

Friedrich Heckmann beschreibt, dass Offenheit zur Integration seitens der Menschen, die in unserem Land Fuß fassen wollen, nicht genügt. Auch wir als Aufnahmegesellschaft sind gefordert: "[...] Migranten können nicht zu Mitgliedern der neuen Gesellschaft werden, wenn ihnen die Türen der Institutionen verschlossen sind oder Barrieren den Zugang erschweren. Wenn Integration wechselseitig ist und Migranten gefordert sind, sich Sprache, gesellschaftliche Regeln und Kulturverständnis des Einwanderungslandes in einem aufwendigen Lernprozess anzueignen, ist Offenheit – in einem weiten Sinne – die Bedingung, die die Aufnahmegesellschaft im Integrationsprozess sicherstellen muss."

Quelle: Integration von Migranten. Friedrich Heckmann, Springer Verlag.

Barrieren der Integration: Vorurteile (Springer Verlag)

 

Sahar besucht jetzt den Deutschkurs für das Niveau C1 – was nahezu muttersprachliche Sprachbeherrschung bedeutet – und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich eine österreichische Freundin zu finden, genauso wie Navid. Sein stilles Leiden macht sie sehr traurig und sie wacht nachts oft auf. Dann kreisen ihre Gedanken immer um dasselbe Thema: Was ist falsch an mir, dass ich keinen Anschluss finde?

 

Oft schon hatte Sahar ihrer gebrechlichen Nachbarin angeboten, ihr die schweren Einkaufstaschen über die Treppe zu tragen. Doch meistens lehnt sie ab. Auch das nette Ehepaar, das gegenüber wohnt und sie immer freundlich grüßt, würde sie gerne näher kennenlernen. Aber Sahar spürt diese Distanz, die ihr die Menschen entgegenbringen. „Ich mag mein Aussehen und meine dunkle Haut nicht, vielleicht liegt es ja daran?“, fragt sie sich. Oft hat sie den Nachbarn etwas von ihrem iranischen Essen vorbeigebracht. Für Sahar ist das normal. Sie kocht leidenschaftlich gerne und will den Leuten eine Freude machen. Doch die meisten schauen sie nur skeptisch an. Schmeckt es ihnen nicht? Warum mögen Sie uns nicht?

 

Erpel Frederik und der Kuckucks-Klan

Wie es für eine Fabel üblich ist, verkörpern Tiere Menschen und deren Wesenszüge. Die Botschaft dahinter ist aktueller denn je. Nach einer Umwelt-Katastrophe müssen die Enten ihr geliebtes Land verlassen. Nach Wochen der Flucht finden sie einen schönen Wald worin sie bleiben möchten. Aber der Wald ist bewohnt. Die Vorurteile des Oberhauptes und die daraus resultierende Unsicherheit der Waldbewohner werden immer größer. Die Situation verschärft sich, als sich der junge Erpel Frederik in ein hübsches Amselmädchen verliebt. Trotz aller Heimlichkeiten bleibt die Liebelei zwischen dem Fremden und der Einheimischen nicht unbemerkt. Neid und Anfeindungen sind die Folge. Siegt zu guter Letzt doch noch die Einsicht, dass ein friedliches Zusammenleben aller Beteiligten möglich ist? Gabriele Schramel.


Thomas Lettner und Judith Mitrut.
ISBN 978-3-9033-8506-1
Eigenverlag
Das Buch ist bei Thomas Lettner erhältlich: 0680 21 433 40