Von Sonja Raab | Lesezeit ca. 9 Minuten
ZUERST KAM DER KRIEG und dann das Erdbeben. Als Mohamed 2011 aus Syrien floh, war sein Plan, ein sicheres Land und eine gute Zukunft zu finden. Nun wartet er im Mostviertel seit zwei Jahren auf den Bescheid, ob er bleiben darf oder nicht.
Mohamed Mzayek ist 1990 in Aleppo, Syrien, geboren und lebt seit Juni 2021 im Gasthaus Bruckwirt in Opponitz. Ob er das Bleiberecht bekommt, ist noch ungewiss. Wir trafen uns für das Interview in seinem kleinen Hotelzimmer, in dem er nach seinem Aufenthalt in Traiskirchen untergebracht wurde. Als Geflüchteter entscheidet man nicht viel selbst, die Politik entscheidet für einen.
Jeden Tag aufwachen in einem Land, das nicht das eigene ist. Mit Menschen, die nicht Familie sind. Alles wird für ihn bestimmt. Wann er zu essen bekommt, was er zu essen bekommt, wer ihm Geld gibt, was er sich kaufen kann und wohin er fahren darf. Und es gibt keine Zukunft. Alles ist ungewiss. Der Abschiebebescheid schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm. Trotzdem ist Mohamed ein optimistischer, fröhlicher Mensch. Er lacht gerne, ist kommunikativ, mischt sich unters Volk und tut alles, um sich zu integrieren. In Syrien hat er vor dem Krieg studiert, er war der Älteste von sechs Geschwistern, machte anderen Mut und brachte sie zum Lachen.
Wenn Bomben fallen, muss man schnelle Entscheidungen treffen.
Opponitz war natürlich nicht sein Plan. Als der Krieg in Syrien begann, war keine Zeit viel nachzudenken wohin man gehen könnte. Wenn die Bomben fallen überlegt man nur: „Wie überlebe ich?“ Man hat Angst. „Mein Vater hat immer schon in Dubai gearbeitet und so war es logisch, dass meine Familie und ich zu ihm gehen. Ich habe dort sieben Jahre lang als Kinderanimateur in großen Hotels mein Geld verdient. Ich war ein Maskottchen in den Shopping Malls, habe mich als Krümelmonster aus der Sesamstrasse verkleidet und kleine Geschenke verteilt. Ich bin totaler Marvel-Fan und mag Spiderman“, lacht er.
»Ich möchte keine Schwäche zeigen. Nach außen hin möchte ich stark wirken.«
Solange er in Dubai Arbeit hatte, war alles gut. Doch dann kam Corona und er verlor den Job, hatte keine finanzielle Unterstützung, das Visum lief aus und er hätte zurück nach Syrien in den Krieg gehen müssen. „Das hätte ich nicht gekonnt, ich würde mich schon schlecht fühlen, wenn ich einen kleinen Vogel töten müsste“, sagt Mohamed. Mit seiner Frau, die aus dem Libanon stammt, floh er deshalb 2020 in die Türkei und sie versuchten von dort aus, nach Griechenland zu kommen. „Die Grenzpolizei war gefährlich. Wir hatten solche Angst. Sie nahmen uns das Geld ab, haben die Handys zerstört und mich in die Nieren getreten.“
Im Dezember kamen sie schließlich nach Serbien, wo sie sieben Monate in einem Flüchtlingscamp lebten. „Es war kalt, es regnete ständig, wir warteten dort auf den Sommer“, erzählt er weiter. Dann ging es zu Fuß Richtung Ungarn. „Wir waren tagelang unterwegs, oft 20 Kilometer an einem Tag, haben in der Wildnis geschlafen. Auch Kinder waren dabei. Wenn es regnete, war alles nass, wir hatten Schlamm an den Schuhen. An der ungarischen Grenze gab es immer wieder Gewalt von Seiten der Grenzpolizei. Da war dieser Zaun. Wir haben es drei Mal versucht, aber sie waren sehr aggressiv, sie hatten Hunde, wieder wurde uns alles was wir hatten abgenommen, sie haben Ladegeräte und Handys kaputt gemacht“, berichtet er von den schlimmsten Momenten seiner Flucht.
„Schließlich haben wir mit einem Schlauchboot mehrmals die Donau gekreuzt. Pro Person haben wir einem Schlepper 3.000 Euro bezahlt. Es war wie ein Spiel.“ Wenn jemand versuchte, über eine Grenze zu kommen, sagte er: „Wish me good luck!“ und wenn man es nicht schaffte, dann versuchte man es eben wieder und wieder.
Eheleute von Behörden getrennt.
Noch vor einem Jahr war auch seine Frau Rayan hier bei ihm im Gasthaus Bruckwirt. Ich war dabei, als sie den Abschiebebescheid erhielt und ihr Mann nicht. Ich habe versucht, das Geschriebene zu übersetzen, aber selbst für Österreicher ist das Beamten-Deutsch der Regierung kaum zu verstehen. Vielleicht ist es auch absichtlich so verwirrend und unverständlich geschrieben.
»Ich habe meine Familie verlassen, um in Sicherheit zu sein. Wir wollten nur ein
sicheres Land erreichen, in dem ich arbeiten und eine gute
Zukunft haben kann.«
Wenn ich als Österreicherin es schon nicht verstehe, wie sollen es dann Menschen verstehen können, die nicht unsere Sprache sprechen und die Schrift nicht gut kennen? Rayan war an diesem Tag geschockt, sie weinte, sie war wütend und kurze Zeit später war sie verschwunden, noch bevor sie abgeschoben werden konnte. Sie hatte Panik, dass nachts die Polizei kommen und sie holen würde. Sie ist nach Deutschland weiter geflüchtet. Sie will nicht zurück nach Libyen. Was sollte sie dort auch? Sie hat niemanden mehr in ihrem Geburtsland. Auch sie war eine fröhliche, lustige Person, mit der ich viel gelacht habe. Gastfreundlich. Sie kochte für meine Familie, wir haben viel Zeit zusammen verbracht. Wir konnten nicht fassen, dass die österreichische Politik es zulässt, dass Ehepaare getrennt werden. Dieser Tag wird auch mir im Gedächtnis bleiben, denn ich war sprachlos und ohnmächtig.
„Tschüss, baba“, sagt Mohamed grinsend, als wir einmal von einem Besuch bei meinen Eltern nach Hause gehen, die ihn nach dem Kennenlernen schnell in ihr Herz geschlossen hatten. Wir sind zusammen zu einem Auftritt der „Don Kosaken“ gefahren, es war eine Überraschung, die ich ihm schenken wollte und vor der Kirche machten wir Späße, dass er nun getauft würde.
»Sag den Menschen hier, wir suchen nur ein besseres Leben! Europa war nicht mein Traum.«
Mohamed wird von manchen Gästen des Gasthauses, in dem er lebt, „Franz“ genannt. „Weil das ein österreichischer Name ist und dann lachen die Einheimischen und sind freundlich zu mir. Als Franz werde ich akzeptiert, als Mohamed eher nicht. Von zehn Einheimischen ist einer nett zu mir“, erzählt er. Manchmal sitzen wir zusammen und er erzählt mir von seiner Flucht, seiner Familie, seiner Heimat Syrien. Wir reden über Religion, Ramadan, Essen und Filme. Wir schicken uns per Whatsapp lustige Videos und Songs von Snoop Dog, Eminem und 2Pac. Er zeigt mir Bilder von den Hundewelpen seiner Schwester und freut sich, wenn ich die Bilder vom Fladenbrot, das er mir eines Abends im Ramadan gebacken hat, auf Facebook zeige. Er nennt mich und meine Eltern Familie und schickt seiner Schwester ein gemeinsames Foto, damit sie sich keine Sorgen macht, denn er hätte ja nun in Österreich jemanden, der auf ihn aufpasst. Solange wir nicht über Krieg, Erdbeben oder Beziehungen reden, ist er lustig. Kommt unser Gespräch auf eines dieser Themen, wird er schnell still und sagt, dass er lieber über etwas anderes reden würde, denn das würde ihn sonst runterziehen und das will er nicht.
Einer von zehn Einheimischen ist freundlich.
Ich überlege, was ich in seinem Alter gemacht habe. Was wäre, wenn hier Krieg wäre oder ein Erdbeben, das alles zerstört. Wo ich hingehen würde, wenn es hier kein Überleben mehr gäbe. Wem ich vertrauen würde. Was ich denken würde. Ich war immer in Sicherheit, ich kann mir nichts davon vorstellen.
Zur Person:
Mohamed Mzayek wurde 1990
in Aleppo, Syrien, als eines von 6 Kindern
geboren. Als 2011 der Krieg in Syrien begann, flüchtete er über Dubai, die Türkei, Griechenland, Serbien und Ungarn nach Österreich. Seit zwei Jahren wartet er auf seinen
Bescheid. Er arbeitet im Gasthaus
Tazreiter in Opponitz als Küchenhilfe.
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Links:
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Verein der interkulturellen Persönlichkeiten, Amstetten
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Verein für ein soziales Miteinander, Waidhofen/ Ybbs
🌐 verein-willkommen-scheibbs.at
Verein zum Finden einer
neuen Heimat, Scheibbs
Ich sehe, wie Mohamed lacht, aber ich spüre die Traurigkeit dahinter. Und die Verzweiflung. Das lange Warten zermürbt. Die Angst vor Abschiebung. Mir wird schlecht bei dem Gedanken daran. Europa war nicht seine erste Wahl. Es war die letzte Option. Einige Länder kamen nicht in Frage, weil sie ihn zurück in den Krieg geschickt hätten. Andere, weil man dort nichts für die Arbeit bekommt und nicht leben kann. Aber die Entscheidung, nach Europa zu gehen, war auch gespickt mit Hindernissen. Besonders die schlechte Behandlung in Griechenland und Kroatien hat ihn geschockt.
»Gebt uns eine Chance, lasst uns beweisen, dass wir uns integrieren können!«
Vor einigen Monaten fuhr Mohamed mit hart verdientem Geld, das er für seine Arbeit als Küchenhilfe bekommen hatte, nach Wien, wo er das Geld und ein Kleidungs-Paket an eine syrische Community übergab, die den Erdbebenopfern in Syrien Hilfspakete schickten. Wenn ich als Österreicherin so etwas beobachte, dann schäme ich mich für unser Gejammer, unsere Gier und die Vorurteile, die wir gegen Menschen aus anderen Ländern haben. Ich beschließe deshalb, meinen Spesenersatz für dieses Interview an Mohamed weiterzugeben. Sein Spiel hat hier im Mostviertel schließlich wieder bei Null begonnen. Möge er sein sicheres Land und seine Zukunft finden.