Von Gerhard Hintringer | Lesezeit ca. 5:30 Minuten
SO EINE ART LEBENSGESCHICHTE.
Im Nachlass der Tochter von Maria Lazar fand sich ein Roman, welcher nun nach 100 Jahren erstmalig verlegt wurde.
Es gibt Bücher, die sind vergessen und das ist gut so. Es gibt Bücher, die den Zeitläufen, den Bruchlinien der Geschichte zum Opfer gefallen sind, verfemt, verboten, verbrannt. Einigen Verlegern ist es zu danken, dass zusehends Romane, die nur mehr, wenn überhaupt, antiquarisch greifbar waren, nun wieder im Buchhandel aufscheinen. In seltenen Glücksfällen taucht in einem nicht aufgearbeiteten Nachlass ein Manuskript auf, das dort nicht zu Recht vergessen wurde. Ein solcher Glücksfall ist der Roman von Maria Lazar, der nach 100 Jahren überhaupt erstmalig verlegt wurde.
Vier ICH oder eins? Oder Über-Ich, Es?
„Das erste Mal geschah es, als ich noch klein war. Zwölf Jahre.“ So beginnt der neue Lazar, Ende der 1920er Jahre entstanden, 2023 verlegt. „Geschah es.“ – Ja, was? Der eilige Leser ist bereits etliche Seiten davongeeilt, hat den Nebensatz auf der Folgeseite nicht beachtet, dass sie die Horky, das Kindermädchen „verraten hatte“. „So eine Art Lebensgeschichte“ serviert uns die unzuverlässige Erzählerin. „Obwohl es da eigentlich gar keine Geschichte gibt. Aber das macht nichts.“
»Wenn nahezu die gesamte
Buchbesprechung aus Zitaten besteht,
so geschieht dies absichtlich, um ein klein
wenig den Sound vorzustellen.«
„Ich bin mir gleich geblieben. Es war schon immer dasselbe. Mit der Horky hat es angefangen. Dann kamen die anderen.“ Die kurzen Sätze lassen eine gewisse Atemlosigkeit vermuten. „Ich bin ein Ungeheuer. Grete hält mich sogar für eine Dämonin.“ „Annette hält mich für eine alte Kokotte, Ulla aber für eine verliebte Gans.“ Womit die vier Ich bezeichnet sind, in die sich die Erzählerin aufspaltet. Spaltet sie sich auf? Man könnte es fast glauben, dann wieder nicht. Dann kommt noch eine Fünfte ins Spiel, die „Fremde“. „Übrigens, die Fremde gehörte nie zu uns vieren. Sie stand immer abseits, schaute immer zu.“ Wer sind wir und wie viele?
Wahrheit, Verstand, Psychologie
„Muss ich denn überhaupt immer die Wahrheit sagen? Wo steht denn das geschrieben?“ „Hunderterlei hätte ich können. Aber in Spiegeln und Schaufenstern sah ich immer nur eine Gestalt. Mir wohlbekannt und wohlvertraut. Blass entschlossen. Die Fremde. Mich. Die Einzige.“ „Mit Verstand und Logik muss man alles erklären können.“ Sollte man meinen und irrt: „Was das wieder heißen soll! Aber etwas stimmt nicht. Das alles stimmt nicht. Es kann nicht gut ausgehen.“ Zweifel, Ahnung, Ungewissheit.
»Es ist ein spannender Text,
ein poetischer, geheimnisvoller, ein Text, den man am besten
gleich noch einmal liest.«
„Deshalb soll dieses Buch hinaus zu jenen, die einsam sind und ihrer Einsamkeit nicht gewachsen.“ Das klingt nun ein wenig zu sehr nach Lebensberatung, das ist das Buch keineswegs.
Wenn nahezu die gesamte Buchbesprechung aus Zitaten besteht, so geschieht dies absichtlich, um ein klein wenig den Sound vorzustellen. Es ist ein spannender Text, ein poetischer, geheimnisvoller, ein Text, den man am besten gleich noch einmal liest.
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Wer war Maria Lazar?
Geboren 1895 in Wien, großbürgerliche Verhältnisse, Schwarzwaldschule, Lehrerin am Semmering, erste Talentprobe mit 25 Jahren mit „Die
Vergiftung“ (1920, DVB 2014), kurze Ehe mit Friedrich Strindberg, Sohn von Frida Uhl-Strindberg und Frank Wedekind, legitimiert von August Strindberg, schwedische
Staatsbürgerin, 1930 Pseudonym Esther Grenen,
Exil in Dänemark bei Karin Michaelis (gemeinsam mit Bert Brecht, dem sie als erste Frau die Stirn bietet) und Schweden, 1948 Freitod in Stockholm wegen unheilbarer Krankheit.
Weiters bei DVB erschienen:
„Die Eingeborenen von Maria Blut“ (1937/2015)
„Leben verboten“ (1932/2020)
Im Intervall Verlag:
„Der Fall Rist“ (1934/2023)
Foto © DVB Verlag
Neuerscheinung aus der Metallkiste
Einige Schwierigkeiten wurden bereits eingangs angeschnitten. Dazu kommt, dass es für jüdische Autoren in den 1930er Jahren zusehends schwieriger wird, Publikationsmöglichkeiten zu finden. Ab 1933 völlig vom deutschen Markt ausgeschlossen, in Österreich beargwöhnt, schließlich die Bedingungen des Exils. Maria Lazar greift zu einer List und gibt ihre Romane als von ihr übersetzt aus, verfasst vom nordischen Talent Esther Grenen. „Viermal Ich“ ist demnach der letzte unter Maria Lazars Klarnamen entstandene Roman.

Albert C. Eibl steht hinter dem Verlag „Das Vergessene Buch“ (DVB), der bereits mehrere Lazar-Romane wiederaufgelegt hat und so die Autorin erneut ins Rampenlicht geholt hat. Von ihm stammt das Nachwort zu „Viermal Ich“, in dem er neben einer Interpretation auch den Weg des Manuskripts nachzeichnet. Der Nachlass befand sich in einer Metallkiste in Nottingham, die Maria Lazars Tochter Judith zeitlebens nicht öffnete. Nach deren Ableben im hohen Alter vor wenigen Jahren konnte der Text als vergrabener Schatz gehoben werden.
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