Von Sonja Raab | Lesezeit ca. 5:30 Minuten
AN DER ERLAUF TOBTE DIE GESCHICHTE. Ein Gebäude, dessen Bauphase um 1400 in Purgstall begonnen hat, beherbergt heute ein breitgefächertes Spektrum an historischen Schätzen. Fundstücke aus der Frühgeschichte, eine Schusterwerkstatt, die Räumlichkeiten der ehemaligen Gerberei sowie Funde aus einem karolingerzeitlichen Gräberfeld bieten einen großartigen Rückblick auf die Historie der Marktgemeinde.
Üblicherweise fährt man an Purgstall vorbei, wenn man zur Autobahn will. Dass es sich wirklich lohnt, sich die Zeit zu nehmen und das von Pseudo-Graffitos (vorgetäuschte Farbputz-Technik, die nur angeritzt und ausgemalt wurde) übersäte Heimatmuseum im Ortskern zu besuchen, durfte ich nun in einem Interview mit Gerhard Punz erfahren.
»Um 960 haben die Herren
von Puchstale hier eine Burg gebaut.«
In wenigen Stunden durchliefen wir eine Geschichtsstunde, die es wirklich in sich hatte. Das ehemalige Ledererhaus an der Erlauf ist nicht nur architektonisch eine Augenweide und begeistert mit zahlreichen Gewölberäumen, einem beeindruckenden, zirka 15 Meter langen Konglomerat-Keller und der auffälligen Fassadenmalerei. Es hütet auch Geheimnisse, die man sich als Besucher kaum erwartet hätte. Und Herr Punz ist das passende Lexikon zu diesen Geheimnissen. Er kümmert sich nicht nur ehrenamtlich um das Museum, sondern hat auch eine Broschüre herausgebracht: „Historischer Rundwegführer THEMENWEG PURGSTALL“. Und diesen Rundweg ist er bis vor Kurzem noch mit Besuchern gegangen.
Zwei Kilometer, 27 Stationen.
Etwa drei Stunden lang erzählte er an den Schauplätzen die dazugehörigen Geschichten. Der Gestank muss unerträglich gewesen sein, das Leben direkt am Fluss geprägt von harter Arbeit: Im unteren Teil des Heimatmuseums Ledererhaus kann man den Werdegang einer Rohhaut bis zum Leder erkunden und am Originalstandort erfahren, was es bedeutet, tagein tagaus von früh bis spät stinkende Häute im Fluss zu schwemmen, einzuweichen, zu äschern und zu kalken, durch Lohe – Gerbsäure, die aus Baumrinde und Wasser entsteht – zu ziehen, am Baum die Fleischreste abzuschaben, am Bock die feuchte Haut zu falzen.
»Vor 10.000 Jahren gab es nachweislich
schon Menschen in Purgstall.
Es wurden Urrind-Zähne und ein menschlicher Röhrenknochen gefunden.«
„Nichts wurde verschwendet oder weggeworfen! Die gebrauchte Lohe wurde im Winter verheizt, aus der gebrauchten Eisenspan-Lohe, mit dem das Leder schwarz gefärbt wurde, ist Tusche gemacht worden. Die Haare und Borsten wurden zu grobem Filz verarbeitet, die Fettreste der Innenhäute zu Schusterleim“, erzählt Punz. 60.000 Kubikmeter Holz wurden aus den Tälern um Lunz am See nach Purgstall an der Erlauf getriftet. Das Wasser war für die Trift und Flößerei, aber auch für die Gerber und Lederer unerlässlich. „Die Felle davonschwimmen sehen“ ist eine Redewendung, die aus dieser Zeit stammt.
In beeindruckender Weise kann man auf Schautafeln auch im Außenbereich des Gebäudes nachlesen, wie der Arbeitsalltag der Schmiede, Holzknechte, Gerber und Bauern damals ablief. Das Gelände beginnt während des Rundgangs zu leben.
Fotos © Sonja Raab
Ein Schauplatz, an dem es vor
Menschen nur so wimmelt, fürchterlich stinkt und laut ist.
Im oberen Geschoss des Museums befindet sich der ehemalige „Trockenraum“, in dem das Leder aufgehängt wurde. Hier steht man nun vor Fundstücken aus der Umgebung, die von der Jungsteinzeit über die Römerzeit, Kaiserzeit, Türkenbelagerung, bis hin zum 1. Weltkrieg stammen. Richtschwert, Urkunden, Grabbeigaben und Skelette aus einem karolingerzeitlichen Gräberfeld, Steinbeile und vieles mehr.
»Fichtenrinde ergibt helles Leder,
Eichenrinde dunkles und
als einem Lehrling ein Nagel in die
Lohe fiel, oxidierte dieser und färbte
das Leder schwarz. Ab diesem Zeitpunkt
wurde mit Eisenspänen gefärbt.«
Ein Votivbild der Basilika Sonntagberg zeigt, welch unfassbare Leiden und Qualen die Völker an diesem Ort erlebt haben. Gerhard Punz liest passend dazu die Textpassage eines Kriegsprotokolls vom Einfall der Tartaren 1683 vor: „Sie haben alles mit Feuer und Schwert verheeret, Leute und Vieh weggeführt, die Gefangenen, so ihnen nicht folgen konnten, niedergehauen und gar keine Grausamkeit unterlassen. Weiber und unzeitige Mägdlein in viehischer Weise geschändet, die schwangeren Weiber aufgeschnitten, die Geburt aus dem Leib gerissen, Jung und Alt auf die Erde niedergeworfen, mit ihren Sporen durchstochen, also aufgespießt.“
»Es gab einen Salzkrieg zwischen
Purgstall und Scheibbs!«
Herr Punz kennt sowohl die Schrecken dieser Gemeinde, als auch die Geschichte des Marktes Purgstall. Zu verdanken hat er dieses immense Wissen Großteils Cölestin Schachinger, dem vorletzten Benefiziat Purgstalls, der 1913 die Chronik geschrieben hat. Wem die vielen Stationen, Bilder, Schautafeln und Erzählungen zu wenig sind, der kann sich in einem kleinen Saal noch einen alten Schwarzweiß-Film über die Lederer und Gerber ansehen. Aber auch für Kinder gibt es jede Menge Unterhaltung: Rätsel-Stationen, Ausmalbilder und Schatzsuche lassen keine Langeweile aufkommen.

Zur Person:
Gerhard Punz, geboren 1948 in Purgstall, gelernter Installateur, ab 1970 fünfzehn Jahre lang Zusteller bei der Post, hat 17 Jahre am Postzollamt in Wien gearbeitet. Als ehemaliger Obmann-Stellvertreter des Verkehrsvereins ist er seit 1997 ehrenamtlich im Heimatmuseum Ledererhaus in Purgstall tätig. Punz veranstaltete dort mehrmals Sonderausstellungen, erhielt Auszeichnungen sowie die Schachinger-Medaille in Silber für seine veröffentlichte Broschüre (erhältlich am Gemeindeamt Purgstall an der Erlauf).
Foto © Sonja Raab
gesponsert
Museum
im Ledererhaus
Mariazeller Straße 2
3251 Purgstall an der Erlauf
Geöffnet: Sonn- und Feiertage oder
bei Voranmeldung,
Gruppenführungen ab 8 Personen.
📞 07489 27 11-17