Von Michaela Auer | Lesezeit ca. 6 Minuten
"A SCHEENE LEICH": Ein Ausflug nach Wien zeigt, dass es auch den anderen, humorvollen Umgang mit dem Tod gibt und braucht.
Mit dem Fiaker durch den Friedhof kutschiert zu werden, das hat was. Das ist Wien, wie es leibt und lebt. Es wird gemunkelt, die Wiener hätten eine besondere Beziehung zum Tod. Dass man auf der Website des Zentralfriedhofs gleich auch auf die Konditorei Oberlaa verwiesen wird – eine nette Geschichte.
»Es ist ratsam, über den Tod nachzudenken.«
(Epikur von Samos, 341-271 v. Chr.)
„A scheene Leich“, so heißt es in Wien. Nicht nur der Tod soll im Mittelpunkt stehen, das Leben darf gefeiert werden. „Die scheene Leich“ ist nicht nur ein aufwändiges Begräbnis, sondern auch Ausdruck einer Lebenshaltung: Der Tod ist unvermeidlich – also feiern wir ihn. Bis in die Zeit der Habsburger reicht diese Wiener Tradition zurück.
Wie sich die Vorstellung einer prachtvollen Beisetzung über die Jahre verändert hat, zeigt das Bestattungsmuseum am Zentralfriedhof. Das Ganze sehr modern inszeniert, bieten riesige Monitore,
Schaukästen und Multimediastationen viele Informationen, digitale Trauerlieder-Hitparade inklusive – von „Time to say Good-Bye“ bis „Ave Maria“ und „Halleluja“.
Die Trauer über den Tod eines Menschen hat sich scheinbar nicht geändert, der Ausdruck dieser Trauer jedoch sehr. Florian Keusch vom ersten und ältesten Bestattungsmuseum der Welt erzählt: „In Wien hat es eine lange Tradition, den Tod auch mit Humor zu nehmen, das wird als Verarbeitungsstrategie genutzt. Das zeigt unser bereits 1967 gegründetes Museum perfekt.“ Die besondere Wiener Geschichte der Bestattungskultur ab Ende des 18. Jahrhunderts, Trauerrituale und die Friedhöfe Wiens werden anhand von über 2.500 Originalobjekten detailreich präsentiert.
Auch ein Klappsarg aus dem 18. Jahrhundert taucht auf. „Tatsächlich waren prunkvolle Beisetzungen nur dem Adel vorbehalten“, erklärt der Audioguide. „Bürger wurden in Säcke
eingenäht, nackt, den Rest hat der Klappsarg erledigt, der natürlich wieder und wieder verwendet werden konnte.“ Dass sich die Begräbnis-Rituale enorm verändert haben, zeigen diverse Roben
der Bestatter, unterschiedlichste Sargmodelle und Parten.
Glockenzug und Herzstichmesser
Nichts für schwache Nerven war die Arbeit von Totengräbern damals. Wie ist der Gedanke, durch das Läuten eines „Rettungsweckers“ wachgerüttelt zu werden? Um 1828 wurde jeder Leiche eine Schnur fest um die Hand gebunden. Sollte man lebendig begraben werden, löste die kleinste Bewegung des Tot-Geglaubten den Glockenzug aus. Die Verbindungsschnur ging direkt in die Wohnung des Totengräbers. Leider funktionierte diese Maßnahme nicht: Bei der Verwesung wurde so viel Gas freigesetzt, dass sich immer wieder eine Leiche bewegte und die Glocke läutete. Scheinbar machten sich die Wachen irgendwann nicht einmal mehr die Mühe, nachzuschauen.
»Durch Humor eine Brücke schlagen, um den Tod etwas leichter nehmen zu können.«
Auch spannend ist, dass bis ins 20. Jahrhundert Menschen veranlassten, dass nach ihrem Tod ein Herzstich mit einem Dolch durchgeführt wurde, um ja nicht bei lebendigem Leibe begraben zu werden. Johann Nestroy zum Beispiel bestand auf diese Vorgehensweise: „Lieber sicher tot als lebendig begraben.“ Wer dieses „Service“ heute noch in Anspruch nehmen möchte, kann das laut Berichten bei der Bestattung Wien „im Voraus buchen und klarerweise auch bezahlen“. Die Frage, ob dies tatsächlich immer noch gefragt ist, blieb leider unbeantwortet.
Humor bis zum Ende
„Ich turne bis zur Urne“, steht da auf dem Rucksack, und auf dem T-Shirt: „Ich lese, bis ich verwese“. Zu viel des Guten oder doch irgendwie passend? „Wir wollen ganz
bewusst durch Humor und humoristische Shop-Artikel auch eine Brücke schlagen, um den Tod etwas leichter nehmen zu können“, so Florian Keusch.
Lego-Baukästen, welche diverse Bestattungsszenen nachstellen, können ebenso erworben werden wie Schlüsselanhänger in Sarg-Form oder ein Zigarettenetui, das verspricht, Rauchen würde Arbeitsplätze sichern.
Buntes Friedhofsleben
Der Wiener Zentralfriedhof ist flächenmäßig mit 2,5 Quadratkilometern der zweitgrößte Friedhof Europas, in Bezug auf die Anzahl der Beerdigten der größte. Über drei Millionen Menschen sind hier seit 1874 auf über 330.000 Grabstätten bestattet, das sind weit mehr Menschen als derzeit in der Stadt Wien leben. Historisch interessant sind die fast eintausend Gräber für prominente Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik, die von der Gemeinde bezahlt und unterhalten werden.
»Ein spannendes Highlight des Bestattungsmuseums: Der Kippsarg.«
Das Leben treibt es hier am Friedhof bunt. Mittlerweile gibt es ein eigenes Kaffeehaus, E-Bikes zum Verleih, eine eigene Buslinie, die durch den Friedhof fährt. Touristen wandern durch die Gassen, während verschiedenste sehr individuell gestaltete Beerdigungen stattfinden, darüber der ständige Flugverkehr in Richtung Schwechat.
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Bestattungsmuseum
Simmeringer Hauptstraße 234, 1110 Wien
Bestattungsmuseum Wien | Wiener Zentralfriedhof |
Mittlerweile finden auch Nachtführungen statt, und es gibt eben auch das Museum, direkt unter Aufbahrungshalle 2. In sehr passender – nur schwach beleuchteter – Atmosphäre wartet es auf seine Besucher. „Ein Miteinander von Lebenden mit den Toten wollen wir auch hier an diesem besonderen Ort, dem Zentralfriedhof, leben – und das funktioniert in Wien sehr gut“, meint Keusch, auf das bunte Treiben an diesem Ort angesprochen.
Tod und Leben schließen einander nicht aus. Einigen ist dieses Treiben zu bunt, andere lieben es sehr. „Es lebe der Zentralfriedhof“, wie Ambros so schön singt. Und er lebt wirklich.