Von Silvia Wagner und Günter Freinberger | Lesezeit ca. 9:30 Minuten
DAS GRÖSSTE MUSIKBOX- UND FLIPPERMUSEUM EUROPAS befindet sich im Mostviertel. Die meisten Leute glauben, dass eine Musikbox und ein „Wurlitzer“ dasselbe sind: Musikautomaten, die nach dem Münzeinwurf Songs abspielen. Dass das nicht ganz stimmt, erklärt uns der leidenschaftliche Jukebox-Sammler Günter Freinberger vom Pindigiland in Ruprechtshofen.
Der Begriff „Wurlitzer“ gilt weithin als Pseudonym für eine Musikbox, wofür es viele Gründe gibt. Der Hersteller von Musikboxen mit seinen Fabrikstandorten in den USA, in Mexiko City und in Hüllhorst/Deutschland war viele Jahre lang Marktführer und hat wie kein anderer über so lange Zeit rund 350.000 Stück produziert. Und dann gab es da zwischen 1987 und 1995 eine beliebte Fernsehsendung im ORF, die auch den Namen „Wurlitzer“ trug. Peter Rapp und Elisabeth Engstler erfüllten hier als Moderatoren die Musikwünsche der Zuschauer. Also kaum verwunderlich, dass sich der Name auch in den Köpfen der Allgemeinheit eingeprägt hat. Aber so einfach ist das nicht, klärt uns „Pindigi“ alias Günter Freinberger auf.
Der „Kelomat“ unter den Musikboxen
Begonnen hat alles mit Franz Rudolph Wurlitzer. Er emigrierte 1853 aus Sachsen in die Vereinigten Staaten und begann bald darauf, Musikinstrumente zu fertigen. 1908 erwarb er eine Fabrik, in der auch Orgeln für Stummfilme erzeugt wurden. Als er 1914 starb, übernahmen seine drei Söhne die Fabrik und führten sie erfolgreich weiter. 1936 erreichten sie mit insgesamt 44.397 verkauften Geräten einen Verkaufsrekord. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachten sie das Modell 1015 namens „Bubbler“ auf den Markt, das sich mit seinem toll beleuchteten und farbwechselnden Rundbogen zum Sensationsmodell entwickelte, von dem alleine unglaubliche 56.000 Stück verkauft wurden.
Zu den schönsten Vinylbox-Fabrikaten zählen die Modelle 2000 und 2100 aus den Jahren 1956/57 – diese Geräte erreichen heute Sammlerwerte bis zu 27.000 Euro. Die letzte Fabrik der Familie Wurlitzer schloss 2013 in Hüllhorst. Dort baute man auch eine Wiederauflage des Modells 1015, die „One More Time“-Vinyl, die später auch als CD-Box auf den Markt kam.
Viele wichtige Produzenten in den USA
Auf dem Jukebox-Markt tummelten sich noch weitere Hersteller wie Rock-Ola oder Seeburg. Die Automatic Musik Instrument Company (AMI) startete 1926 mit der Produktion von Automaten mit einem sehr fortschrittlichen Selektionsmechanismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte AMI das Modell „A“ – eine der größten Jukeboxen mit 1,75 Metern Höhe – auf den Markt. Beim Modell „G-200“ aus dem Jahr 1956 kam der neue AMI-Wechselmechanismus zum ersten Mal zum Einsatz. Dieser konnte nun beide Vinyl-Plattenformate, sowohl die 78er als auch die 45er, abspielen. Ein unter Sammlern sehr begehrtes Modell ist die AMI I im „Chrom Automobildesign“ aus dem Jahr 1958, es wird mit bis zu 17.000 Euro gehandelt, denn es legt die Platte auf wie ein DJ.
Der Kanadier David C. Rockola ärgerte sich der Überlieferung zufolge, dass man seinen Namen schlampig aussprach. Dieser Tatsache ist wohl der Bindestrich im Namen von Rock-Ola geschuldet. David wanderte in die USA aus und begann, den Leuten ihren Wunsch nach Musik auf Tonträgern in der Öffentlichkeit zu erfüllen. 1952 mit einem einzigartigen Karussell-Mechanismus im Modell „Fireball“, der Platz für 120 Stück 45er Single-Platten bot. Ein Greifarm holte die Platte aus dem Karussell und legte sie – ähnlich wie bei der AMI, wie ein Discjockey – auf den Plattenteller. Der offene, sichtbare Mechanismus war eine Attraktion und kostet heute ein Vielfaches gegenüber den geschlossenen Boxen.
»Bei der Seeburg fährt der Schlitten
hin und her und fischt die Platte raus, Wurlitzer fährt im Kreis und
schiebt sie in die Mitte, außer bei der alten Schellack-Technik.
AMI und Rock-Ola haben die markante Grippertechnik, wo ein Arm die Platte schnappt.«
Justus P. Seeburg schließlich wurde 1871 in Schweden geboren und wanderte 1886 nach Amerika aus. Er arbeitete zuerst in Klavierfabriken und gründete 1907 seine Seeburg Piano Company. Sein erstes mechanisches teilautomatisches Instrument war ein „Orchestrion“. 1948 kam die „M100A“ mit der berühmten „Select-O-Matic“ heraus, bei der die Platten senkrecht stehend aufgereiht waren und die Box 50 Platten beidseitig abspielen konnte. Damals eine Sensation. 1955 baute diese Firma das legendäre Modell „V200“. Sie war die erste Box mit 200 Wahlmöglichkeiten und einer drehbaren Titel-Trommel. Außerdem verfügte sie über eine Dual-Münzeinrichtung, mit der die Platten zu unterschiedlichen Spielpreisen angeboten werden konnten. Seeburg war den anderen Firmen technisch immer weit voraus und bereitete dadurch auch der Firma Wurlitzer regelmäßig Ärger.
Auch europäische Marken erfolgreich
Die US-Besatzungstruppen wollten auch fern der Heimat nicht auf ihre Jukeboxen verzichten, und so wurden diese auch hierzulande bekannt. Zuerst wurden sie importiert und später in Lizenz gefertigt. Nachstehend nennt Pindigi auch einige europäische Namen von Musikbox-Herstellern, die selbst Modelle entwickelten:
Als erstes sind hier Apparateboxen aus Braunschweig zu nennen – von NSM. Das Kürzel stammt von den drei Herren Nack, Schultze und Menke, welche die Firma 1952 gründeten. Menke war der Konstrukteur, Nack und Schultze waren die Inhaber der Großhandelsfirma „Löwenautomaten“, die sehr erfolgreich Spielautomaten herstellte. Die Automatenserie MINT mit den Modellen Triomint, Roulomint und dem Bestseller Rotamint (Record, Luxus und Super) waren äußerst bekannt. Es gab aber auch bekannte Jukebox-Fabrikate von NSM, wie die „Fanfare 60“ aus dem Jahr 1956 oder die zwei Jahre später entstandene „Fanfare 100“, welche im Styling leicht der „V200“ von Seeburg ähnelte. Der Erfolg konnte sich sehen lassen, denn immerhin wurden 1960 täglich 30 Stück gefertigt und in 27 Länder exportiert. Die Firma baute bis in die 1970er-Jahre auch noch transistorisierte Boxen. Pindigi nennt diese Bauart meist die geschlossenen „Holzkisten“ ohne offenes Plattenspiel und ohne Chromdesign.
Nicht vergessen darf man auch die Berliner Firma Wiegandt. Als erste deutsche Produktionsfirma begann sie 1952 mit der „Wiegandtbox“, als Vorläufer der „Diplomatbox“. Die „Diplomat C120“ war die erste Stereobox mit lichtdurchflutetem Gehäuse und Vorwahlmöglichkeit. Tonomat aus Neu-Isenburg stellte 1953 seine erste Kreation „V102“ vor, gefolgt von der 1955 entstandenen „Telematic 200“ bis zur „Panoramic“, die 1958 entstand. Die erste deutsche „Großbox“ produzierte ebenfalls Tonomat: die „Teleramic 200“. Die Modelle zeichnete die typische Telefonwählscheibe zum Wählen der Titel aus.
Die dritte deutsche Firma – Bergmann – begann 1954 mit der Herstellung der „Symphonie 40“, gefolgt von der „Symphonie 80“ und 1958 schließlich mit der „Symphonie 200“, ebenfalls eine Großbox. Das Kennzeichen dieser Musikautomaten war, dass sie schlichte einfache Gehäuse hatten. Aufs Design wurde hier weniger Wert gelegt.
Die französische Firma Elektro Kicker-Jupiter und noch einige andere kleinere Hersteller sind eher als Exoten zu bezeichnen. Als eine der wenigen heute bestehenden Jukeboxfabriken ist die Firma Sound Leisure in England zu erwähnen. Sie fertigt neue Boxen im Retrolook, teilweise in Handarbeit, und verwendet dabei sehr hochwertige Materialien. Bei einem Besuch im Steakhaus Leonhofen in Ruprechtshofen kann man ein derartiges Exemplar bestaunen. Mit 70 Singles – der heutige Ausdruck dafür lautet „7 Zoll Vinyl“ – ist es auch gut bestückt.
Pindigi himself: Günter Freinberger
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Zur Person:
1976 hat sich Günter Freinberger von seiner Lehrlingsentschädigung die erste eigene Jukebox gekauft. Seit damals ist die Sammlung des heute
62-jährigen Unternehmers aus Ruprechtshofen laufend gewachsen und zählt heute über 70 Modelle von allen namhaften Herstellern, darunter zahlreiche sehr wertvolle Fabrikate.
Als gelernter Radio-und Fernsehtechniker hat sich Freinberger längst auch zu einem Experten beim Reparieren der historischen Musikboxen entwickelt und lässt auch alle Interessierten im „PindigiLand“ an seiner Sammelleidenschaft teilhaben. Ein Highlight dabei ist auch die Plattensammlung, die über 50.000 Schallplatten umfasst!
Info:
Pindigi-Land: Flipper- und Jukeboxmuseum
Hauptstraße 15, 3244 Ruprechtshofen