Fit am Stock

Von Maria Martina Lang | Lesezeit ca. 10:40 Minuten

STOCKSPORT. In unseren Breiten längst nicht mehr wegzudenken, hat dieser Sport in den letzten paar Jahrzehnten viele Nationen im Sturm erobert. Und Österreich mischt ganz oben mit. Vielleicht sogar bald im sportlichen Olymp...

Es ist klirrend kalt, der Dorfteich hat eine dicke Eisdecke bekommen. Ideal, um einem beliebten Volkssport zu frönen. Einige Nachbarn haben sich zusammengetan und eine schneefreie Bahn geschaffen. Jeder hat seinen eigenen Eisstock mitgebracht, dazu etwas Glühwein. Am Ufer flackert ein gemütliches Feuerchen, bewacht von ein paar Zuschauern.

 

Die Beteiligten sind mit Eifer dabei, ihre Stöcke möglichst nahe an die „Daube“, ein eckiges Holzstück am Ende der Bahn, zu befördern. Es wird gejubelt und gebuht, je nach Geschicklichkeit des Schützen. Eine weitere Nachbarin kommt zuschauen, mit Keksen, Kind und Kegel. Sogar der Hund ist mit dabei. Er versucht, auf dem rutschigen Untergrund den Eisstöcken hinterherzulaufen und landet dabei am Hinterteil. Alle lachen.

 

Ein ungezwungener, unterhaltsamer Nachmittag für alle, bei dem jeder gewinnt. Denn das Gewinnen im sportlichen Sinne ist hier weit weniger wichtig, als das gesellige Beisammensein. So oder so ähnlich wurde das Eisstockschießen früher vielerorts praktiziert, nicht nur im Mostviertel, sondern in ganz Österreich und darüber hinaus. Es war mehr Gemütlichkeit als harter Wettbewerb. Seit einigen Jahren hat sich aus dem manchmal belächelten sportlichen Hobby ein richtiger Profisport entwickelt, mit allem was dazugehört. Es gibt Regionalbewerbe und auch Europa- und Weltmeisterschaften. Die Athleten sind überzeugt, dass sich das Stockschießen bereits 2026 auch als olympische Disziplin durchsetzen wird, wie das sehr ähnliche „Curling“, das aus Schottland stammt.

»Das Gewinnen

im sportlichen Sinne war früher am Dorfteich weit weniger wichtig,

als das gesellige Beisammensein.«

800 Jahre Tradition

Anfänge des Stocksports gehen angeblich bis ins 13. Jahrhundert zurück, wo man in Skandinavien in eingangs beschriebener geselliger Manier zusammenkam. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Mitteleuropa erste Vereine gegründet und einheitliche Regeln aufgestellt. Seit den 1950er Jahren gibt es die Europameisterschaften und seit 1983 Weltmeisterschaften. Die WM 2018 wurde sogar im Mostviertel – nämlich in Winklarn und Amstetten – unter Teilnahme von 26 Nationen ausgetragen. Der Eisstocksport (englisch: „Ice stock“ oder „Bavarian Curling“) wird heute auf fünf Kontinenten in mehr als 40 Ländern praktiziert. Sogar Australien und Indien sind live dabei. In Österreich zählt das Stockschießen zu den fünf beliebtesten Breitensportarten nach Fußball, Tennis und Schifahren. Eine Statistik vom März 2021 belegt, dass von insgesamt 63 genannten Sportarten der Stocksport an sechster Stelle kommt, was die Anzahl an Vereinsmitgliedern betrifft. Auch im Vergleich zu Tennis – auf Rang 2 mit 180.445 Mitgliedern – kann der Stocksport mit 87.209 Mitgliedern durchaus mithalten, Tendenz steigend. Curling hat in Österreich übrigens gerade mal 288 Mitglieder und zählt damit hierzulande eher zu den Exoten.

 

Nicht nur zur Winterszeit

Es gibt ja nicht nur das Eisstockschießen, sondern auch die sommerliche oder ganzjährige Variante, welche auf Asphalt oder Beton im Freien oder auf Kunststoffbelag in Hallen stattfinden kann. Der Sport besteht im Prinzip darin, dass ein oder mehrere Schützen ihren Stock mit Schwung möglichst nahe an ein bestimmtes Ziel befördern. Im Lauf der Zeit haben sich daraus verschiedene Bewerbe entwickelt. Jedenfalls braucht jeder Spieler einen „Stock“, ein rundes Sportgerät von etwa 27 Zentimetern Durchmesser, mit flachem Boden und Stiel. Früher wurden diese aus Holz gedrechselt und mit einem Metallring beschlagen. Viele Schützen stellten ihren Stock selbst her. Heute gibt es hochmoderne Stöcke aus verschiedenen Materialien und mit Grundplatten, sogenannten „Laufsohlen“, die für die sportlichen Anforderungen und Untergründe optimiert wurden. Es gibt drei verschiedene Gewichtsklassen und eine für Jugendliche. Profis verwenden oft eigens auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Maßanfertigungen. Die restliche Ausrüstung besteht aus Sportschuhen und bequemer Sportbekleidung. Natürlich ist ein qualitativer Stock noch bei weitem nicht alles, was man benötigt, um gut zu sein. Der Sport mag einfach erscheinen, doch auch hier sind neben dem nötigen Talent vor allem Fleiß, Ausdauer und Training wichtig, um voranzukommen. Stefan Solböck, Vereinsobmann in Wang, spielt selbst seit Mitte der 80er Jahre und engagiert sich sehr, Anfänger zu begeistern: „Wichtig sind vor allem Talent und Ehrgeiz. Es dauert an die drei bis vier Jahre, mit zweimaligem Training in der Woche, bis man halbwegs gut ist im Stocksport. Auch gute Konzentrationsfähigkeit ist wesentlich.“

»Aus dem sportlichen Hobby hat sich ein richtiger Profisport entwickelt,

mit allem, was dazugehört.«

 

Drei verschiedene Disziplinen

Grundsätzlich wird der Stocksport ganzjährig ausgeübt, die wichtigen Bewerbe finden allerdings nur im Winter statt. Deshalb spielt der Eisstocksport im Vergleich zum Sommerstocksport eine noch wesentlichere Rolle. Trainiert wird meist in Hallen, hier im Mostviertel in der Amstettner oder Waidhofner Eishalle oder in der Stocksporthalle in Winklarn, die sich vor allem für das Weitentraining eignet. Mit 143 Metern gilt sie als die längste Sporthalle der Welt und als „Mekka“ des Weitenstocksports.

 

Im Lauf der Jahre haben sich drei unterschiedliche Eisstockdisziplinen entwickelt. „Der Weitenbewerb ist eine ganz eigene Kategorie“, so Stefan Solböck. „Dabei geht es darum, den Stock mit ganzer Kraft so weit als möglich zu befördern. Es gibt kein eigentliches Ziel, nur am Ende der Bahn einen trichterförmigen Bereich, wo der Stock sich frei bewegen darf. Dafür braucht man eine gute Kondition und Technik, aber auch die Größe des Athleten sowie seine mentale Stärke sind dabei entscheidend.“ Die anderen beiden Disziplinen, Mannschafts- und Zielbewerb, erfordern nicht ganz so hohe athletische Eigenschaften, dafür umso mehr Konzentration und Technik, das Mannschaftsspiel natürlich auch Teamgeist. Beides braucht Flexibilität und Taktik. Mit viel Feingefühl muss im Team oder alleine der Stock möglichst nahe an die Daube, welche heute nicht mehr aus Holz, sondern aus Kunststoff gefertigt ist.


 

Der klassische Mannschaftsbewerb ist die älteste Form des Stocksports. Je fünf Spieler, vier aktive und ein Reservespieler, treten in zwei Mannschaften gegeneinander an. Die Stöcke werden aus einer Entfernung von 24 Metern gespielt, das eigentliche Spielfeld mit der Daube im Zentrum beträgt 6 x 3 Meter. Sowohl beim Spiel auf Asphalt oder Kunststoff, als auch auf Eis kennzeichnen bestimmte Bodenmarkierungen das Spielfeld bzw. die Position der Daube. In sechs Durchgängen, sogenannten „Kehren“, wird das Ergebnis ermittelt. Die Mannschaft, die insgesamt mehr Stöcke in Bestlage platziert hat, gewinnt. „Beim Mannschaftsspiel geht’s oft hitzig her“, so der Präsident des NÖ Landesverbandes Alfred Weichinger. „Im Spiel passiert es immer wieder, dass ein gegnerischer Stock den eigenen oder gar die Daube verschiebt. Dadurch muss man sich immer wieder neu ausrichten und das Spiel bleibt bis zum Schluss spannend.“ Jede der Mannschaften hat einen „Käptn“ oder Mannschaftsführer, der mitspielt und zwischendrin seinen Teamkollegen immer wieder Anweisungen und Ratschläge gibt. Bei Unklarheiten versuchen die beiden Teamchefs zu ermitteln, ob alles regelkonform abgelaufen ist. Sollte es Unstimmigkeiten geben, kann zusätzlich ein Schiedsrichter konsultiert werden. Beim Zielschießen, das als Einzel- oder Teambewerb abgehalten wird, wird in vier Durchgängen jeweils auf ein anderes Ziel gespielt, welches durch Bodenmarkierungen festgelegt ist. Die Daube oder ein „Zielstock“ helfen bei der Orientierung. Der Spieler muss dementsprechend jedesmal etwas anders zielen, um eine hohe Punkteanzahl zu erreichen. Jede Variante hat ihren Reiz und manche Sportler treten in mehreren Disziplinen an. Allerdings ist der Weitenbewerb so anders als der Rest, dass sich einige darauf spezialisieren.

 

Ein Sport für alle?

Außer beim Weitenbewerb, wo die Körpergröße nicht unwesentlich ist, gibt es keine besonderen körperlichen Voraussetzungen für den Sport. Im Mannschaftssport ist Teamfähigkeit wichtig und für Anfänger empfiehlt es sich, bei einem regionalen Verein ein Schnuppertraining zu absolvieren. Der Stocksport ist nach wie vor ein Amateursport. Es gibt weltweit keine Stocksportler, die davon leben könnten. Trotzdem haben die Profis strenge Material- und auch Dopingkontrollen zu bestehen. Der Ehrgeiz ist groß und der Wettbewerb hart, doch die Freude an der sportlichen Herausforderung sowie der gelebte Zusammenhalt unter den Gleichgesinnten im Verein macht den Stocksport zu etwas Besonderem.

 

Stockschießen ist ein Mannschaftssport, der Spaß macht
© Birnstingl

»In Winklarn bei Amstetten

steht die längste Sporthalle der Welt.«

Eisstock WM 2022

Auch im letzten Jahr gab es eine Eisstock-WM. Diesmal in Südtirol am Rittner Hochplateau. Bereits 2016 wurde die WM dort abgehalten. Seit der Stocksport mehr oder weniger in die „olympische Familie“ aufgenommen wurde, hat er weltweit noch mehr Interesse geweckt. Für viele gilt: „Dabeisein ist alles.“ Ganz nach dem olympischen Gedanken, egal in welcher Form. Sowohl für die Sportler als auch für die Zuschauer haben die internationalen Bewerbe auf Profiniveau etwas Feierliches, Aufregendes. Jahrelanges Engagement wird gewürdigt. Der Sport verbindet Menschen und Kulturen.

Nachgefragt

bei Alfred Weichinger, Präsident des NÖ Landesverbandes.

Dir liegt die Nachwuchsförderung sehr am Herzen. Was heißt das praktisch?
Seit 2019 ist es mein Hauptanliegen, junge Talente zu fördern. Wir haben Landesleistungszentren gegründet, wo Jugendliche in allen drei Disziplinen unter der Aufsicht von ausgebildeten Funktionären trainieren können, zweimal die Woche. Derzeit sind etwa 15 Jugendliche im Trainingsprogramm. Allgemeiner Stocksport ist je nach Eignung ab 10 Jahren möglich, Weitensport ab 14.

Wer mitmachen möchte, kann sich gerne bei Vizepräsident Michael Schön melden:
michael.schön@stocksport-noe.com


(© Matan Fotografie)

Diverse Links:

Niederösterreichischer Eisstocksportverband:

www.stocksport-noe.com

Union Amstetten
Stockschützen:

www.stocksportunionamstetten.at

Sportklub Waidhofen
Stocksport:

wskstocksport.jimdofree.com



Wos sogst?!?

Fuaßn

Rille im Eis, die jene Stelle markiert, bis zu der sich der Schütze vorwagen darf.

Stutzl

Der Stiel des Eisstocks. Er wird mit einem Faustl eingeschlagen. Olympiastöcke haben in ihrem Bauch ein Gewinde, in das der Stutzl eingeschraubt wird.

Techteln
oder wassern

Lockere Ringe durch Einweichen in Wasser wieder fest an den Eisstock binden.

Moar

Diese Person führt die Mannschaft an und ist in der Regel ein guter und erfahre­ner Eisschütze. Er oder sie weist die Mitspielenden an, wohin sie ihren Schuss lenken oder wie sie diesen anlegen sollen.

Quelle:

Eisstockschießen-Wörterbuch:

www.servus.com/a/b/eisstockschiessen-woerterbuch


Dieser Beitrag erschien erstmals im momag