Von "Artis" Franz Jansky-Winkel | Lesezeit ca. 4:30 Minuten
HOTSPOT IM MOSTVIERTEL: Die Katastralgemeinde Sitzenthal war das Winterquartier des Fahrenden Volkes.
Er hatte mich per eMail angeschrieben und war damit einer von vielen, die sich für die Jenischen und/oder das Jenische interessieren.
Einschub: Die Jenischen gehören zum Fahrenden Volk, das mit diversen Waren handelte, Dienstleistungen anbot und eine eigene Sprache pflegt. Loosdorf ist ein niederösterreichischer Hotspot der Jenischen – insbesondere mit seiner Katastralgemeinde Sitzenthal – und ich verfasste vor über 30 Jahren ein Buch über die Jenischen und das Jenische, das nun in einer stark erweiterten neuen Auflage erschienen ist.
Er hatte sich also gemeldet mit dem Ersuchen um Kontakt. Und er teilte mir auch mit, dass es bereits ein Zusammentreffen vor über 20 Jahren gab, damals, an der Pielachmündung bei Melk. Leider habe ich keine Erinnerung mehr daran. Wer ist er und was will er?

Harry im alten Kaffeehaus
Harry ist ein Nachkomme der Sitzenthaler Jenischen und war zu einer besonderen Ehre gekommen: In Wien, seinem Wohnsitz, wird im Herbst ein Buch erscheinen, in dem alle 300 Sprachen, die in Wien gesprochen werden, vertreten sind. Und er, Harry, hat darin ein kurzes jenisches Gedicht verfasst und Zusatzinformationen geliefert. Mich hat er um allfällige Korrekturen gebeten und um aktuelle Informationen. In den 20 verflossenen Jahren hat sich ja einiges getan.

Buchtipp:
Noppi Gadschi – Jenisch baaln
von Artis Franz Jansky-Winkel
Die neue Auflage wurde wesentlich erweitert. Sehr viel hat sich seit der Erstausgabe vor 31 Jahren getan und eine Unmenge an interessierten Menschen aus Loosdorf und dem deutschsprachigen Europa (und darüber hinaus) haben sich beim Autor gemeldet. Von Sprach- und Soziologie-Wissenschaftlern über Studenten, Journalisten, Radio- und Fernsehmachern und weiteren Jenischen. Das große Interesse veranlasste Autor und Herausgeber "Artis" Franz Jansky-Winkel dazu, das Buch wesentlich zu erweitern und neu aufzulegen.
Info über den Autor:
"Artis" Franz Jansky-Winkel,
3382 Loosdorf, artis.fjw@gmx.net
Also trafen wir einander in einem wirklich alten Kaffeehaus, in der Nähe vom Hundertwasserhaus. Seine Wohnung, erzählte er, wäre zu klein für Besucher. Er berichtete über seinen jenischen Großvater, den er sehr verehrte und der als Kind mit seinen Eltern und elf Geschwistern und einem „Planwagen“, vor den Hunde gespannt waren, und seiner Schleifausrüstung vom Frühling bis in den Herbst von Haus zu Haus zogen um zu fragen, ob es für sie etwas zu schleifen gäbe. Den Winter verbrachte man in Sitzenthal. Opa erzählte Harry auch über das Jagen und verschiedene Überlebenstechniken. Den oftmaligen Wohnungswechsel in Wien (an die 30 Mal) führt Harry auf sein „Jenischblut“, seine jenischen Vorfahren, zurück.
gesponsert
Infos:
Die Jenischen als Volksgruppe:
Was die angestrebte Anerkennung als Volksgruppe betrifft, gibt es zwar das verschriftlichte Regierungsvorhaben und etliche Aktivisten und Aktivistinnen in ganz Österreich, die das anstreben, obwohl die Meinungen hierzu nicht einheitlich sind. Es geht aber seit Jahren überhaupt nichts weiter. Die dafür zuständige Ministerin ist aktuell Susanne Raab und es wird gesagt, dass es ihr sowohl an Bereitschaft, als auch an Kompetenz fehle.
Eine Anerkennung würde Akzeptanz bedeuten, Wertschätzung und Sichtbarmachung. Viele Jenische und Unterstützer setzen sich dafür ein, einige wollen jedoch unsichtbar bleiben und ihre Schubladen eventuell nie verlassen.
Es war eine sehr interessante und ertragreiche Unterhaltung mit Harry in dem alten Kaffeehaus. Auch das „Herabschauen“ auf Menschen, die einen anderen Lifestyle als die meisten praktizierten, kam zum Ausdruck. Harrys Opa ging, wenn er im nahegelegenen Loosdorf zu tun hatte, immer mit gesenktem Kopf, um nicht erkannt und verspottet zu werden. Diese Verhaltensweise hat sich über Jahrhunderte gehalten und ist auch momentan noch hochaktuell.
Nach unten zu treten scheint längst eine Art Volkssport geworden zu sein. Daher sind die Jenischen auch empfindlich gegenüber Spott. Wir werden einander wieder treffen, diesmal in Harrys alter Heimat, Loosdorf, respektive Sitzenthal. Es gibt noch viel auszutauschen und für den Opa ein Grablichterl.